Der EU-Leitfaden zur Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG enthält zu Risikobeurteilungen und zur Anwendung der harmonisierten Normen folgende Aussagen:

Kernaussage 1 zu Risikobeurteilungen:

Risikobeurteilungen, die nur auf der Grundlage der EN ISO 12100 erarbeitet wurden, lösen keine Konformitätsvermutung aus, d. h. die Risikobeurteilungen nur auf der Grundlage der EN ISO 12100 sind unvollständig. [EU-Leitfaden zur Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, § 111 und jeweils erste Seite eines EU-Amtsblatts für harmonisierte Normen.

EU-Leitfaden, § 111:

„Typ-A-Normen legen grundlegende Begriffe, Terminologie und Gestaltungsleitsätze fest, die für sämtliche Maschinenkategorien anwendbar sind. Die Anwendung derartiger Normen für sich alleine, reicht nicht aus, um die Übereinstimmung mit den einschlägigen grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen der Richtlinie zu gewährleisten, obwohl sie einen wichtigen Rahmen für die richtige Anwendung der Maschinenrichtlinie bilden und begründet daher keine umfassende Konformitätsvermutung.“

Gleicher Text steht seit 2013 in jedem EU-Amtsblatt für harmonisierte Normen für Maschinen.

Kernaussage 2 zu Risikobeurteilungen:

Jede einzelne Lösung der identifizierten Gefährdungen muss mit den in den harmonisierten Normen angegebenen Schutzniveau verglichen und ggf. nachgebessert werden, d. h. für jede Gefährdung muss der adäquate Abschnitt der zutreffenden Norm ermittelt werden. [EU-Leitfaden zur Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, § 162]

EU-Leitfaden, § 162:

„In dieser Hinsicht setzt das Sicherheitsniveau, das durch die Anwendung einer harmonisierten Norm erreicht wird, einen Maßstab, der von allen Herstellern der durch die Norm abgedeckten Maschinenkategorie berücksichtigt werden muss, und zwar auch von jenen Herstellern, die sich für die Verwendung alternativer technischer Lösungen entscheiden.“

Keine Normenanwendung entspricht einer alternativen Lösung.

Kernaussage 3 zu Risikobeurteilungen:

Alle einschlägigen und in den Risikobeurteilungen nicht angesprochenen Abschnitte der zutreffenden Normen müssen in die Risikobeurteilungen einbezogen werden, d. h. alle bisher nicht abgearbeiteten Abschnitte der zutreffenden Normen müssen ermittelt werden, um sie in die Risikobeurteilungen einbeziehen zu können.

Daraus resultierenden Arbeitsschritte für die Erarbeitung von Risikobeurteilungen:

- Alle für die betreffenden Maschinen zutreffenden harmonisierten Normen sind bereitzulegen.

- Alle in den Risikobeurteilungen gewählten Maßnahmen sind mit dem in den harmonisierten Normen beschriebenen Sicherheitsniveau zu vergleichen. (Normabschnitt suchen und danach abhaken!)

- Werden keine Normen angewendet, dann sind die getroffenen Maßnahmen auch mit dem in den Normen angegebenen Schutzniveau zu vergleichen. (Normabschnitt suchen und danach abhaken!)

- Alle zutreffenden Abschnitte aller anzuwendenden Normen, die durch die Risikobeurteilung bisher nicht angesprochen (nicht abgehakt) wurden, deuten in der betreffenden Risikobeurteilung auf nicht behandelte Gefährdungen.
Erfahrungsgemäß sind das viele, sehr viele nicht behandelte Gefährdungen. Deshalb auch die Kritik im EU-Leitfaden zur Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG.

Bei Risikobeurteilungen ohne vollständige Anwendung aller zutreffenden harmonisierten Normen und der Zuordnung zu den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen kann die Konformität mit der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG nicht bewiesen werden.

Schlussfolgerung: Risikobeurteilungen nur mit vollständiger Anwendung aller zutreffenden harmonisierten Normen und der Zuordnung zu den grundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllen die Konformitätsvermutung.

Fazit:
Die wenigsten Risikobeurteilungen erfüllen bisher die Anforderungen der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG in der Interpretation des EU-Leitfadens.

Die EG-Konformitätserklärungen sind damit nur reine Behauptungen, die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG voll eingehalten zu haben. Sie sind im Konfliktfalle und bei Kontrollen leicht angreifbar.

Alle Gefährdungen zu identifizierten, die Risiken einzuschätzen und zu bewerten, ihnen die zugehörigen Normabschnitte zuzuordnen und danach für alle zutreffende, aber bisher nicht verwendeten Normabschnitte weitere Gefährdungen zu identifizieren und zu behandeln, ist mit dem Verfahren gemäß EN ISO 12100 sehr groß und damit realistisch kaum machbar.

Lösung:

Die Lösung zur Erarbeitung von Risikobeurteilungen gemäß Maschinenrichtlinie 2006/42/EG und der Vorgaben des EU-Leitfadens, also der vollen Einbeziehung der harmonisierten Normen, in einer vernünftigen Zeit, ist primär vom Verfahren abhängig.

Ob die Risikobeurteilungen mit einem Softwaretool oder in Excel oder Word erarbeitet werden, ist zweitrangig. Softwaretools, die für die Anwendung des Verfahrens geeignet sind, können in vieler Hinsicht unterstützend wirken und damit hilfreich sein.